Die deutsche Ehe · Liebe im Schatten der Geschichte by Schmidbauer Wolfgang

Die deutsche Ehe · Liebe im Schatten der Geschichte by Schmidbauer Wolfgang

Autor:Schmidbauer, Wolfgang [Schmidbauer, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
ISBN: 9783280055717
Herausgeber: Orell Füssli Verlag
veröffentlicht: 2015-03-02T00:00:00+00:00


Am Obersalzberg

In dem 1938 in zweiter Auflage erschienenen Buch Obersalzberg – Wanderungen zwischen Gestern und Heute berichtet Florentine Hamm über eine Begegnung mit Adolf Hitler am Tor zum Obersalzberg. Das Kapitel trägt die Überschrift »Es ist der Führer!« und enthüllt eine psychologische Position, die tiefer reicht als propagandistische Idealisierung.

Die BDM-Mädchen, zu denen sich die Autorin gesellt hat, warten schon fünf Stunden im Schnee. Sie frieren erbärmlich, wollen aber nicht aufgeben.

»Wir unterscheiden schreitende Gestalten. Da bricht der Jubel los: ›Heil! Heil! Heil! Heil!‹ Immer wieder in die Finsternis hinein.

Und dann ist er plötzlich bei uns am Tor. Ganz nahe bei uns, der uns tausendfach Bekannte, zum erstenmal. Es ist keine Scheu, aber auch kein lautes Wort – nur ein glückseliges Herzudrängen. Hände streben ihm entgegen über dem Lattenzaun. Er sieht uns an und heißt uns willkommen mit seinem Lächeln und ergreift jede Hand. Dicht an unserem Ohr erklingt seine tiefe Stimme.«66

Es folgt die Schilderung einer Autogrammstunde, jedes Mädchen bekommt eine unterschriebene Postkarte, »und es ist, als ob er jetzt an nichts anderes mehr dächte, als uns diese Freude zu machen«. Am Ende singen die Mädchen dem »Führer« noch ein Lied. »Der Führer hört zu und steht jetzt allein im Licht vor der Nacht – in seiner Windjacke, den Stock in der Hand. Das helle, uns vertrauteste Gesicht ist auf uns gerichtet. Da sind wir es inne: es ist der Führer.«

Es folgt eine Reflexion: »Was ist geschehen? Alles war einfache, nahe Wirklichkeit gewesen, ohne äußere Besonderheit: ein Händedruck – eine unterschriebene Karte – ein Lied … und war dennoch Ereignis, auf das wir fünf Stunden gewartet hatten und das uns dann unbegreiflich reich zurückließ.«67

Dann ringt die Autorin nach einer Erklärung für diese Gefühle, die den Beziehungsmodus der symbiotischen Verschmelzung mit einer geliebten Person demonstriert. Durch die entstehende Nähe wird das Selbstgefühl ins nahezu Unermessliche gesteigert. Alle Grenzen verschwinden; Omnipotenzgefühle überschwemmen das Ich.

»Vielleicht war es dies, daß wir begriffen haben: es ist der Führer; gerade so, als ob wir es nicht längst schon gewußt, sondern in eben diesem Augenblick zum erstenmal erfahren hätten. Es muß wohl sein, daß sich das Erlebnis dieses Erkennens erneut von Begegnung zu Begegnung. Und dann geht alles unter in dem einen Bewußtsein: Du bist bei uns, du kennst einen jeden von uns, du hast uns lieb, du bist der Ruf zur Erfüllung unseres Daseins.

Und weil wir alle zu dir gehören, sind wir Gemeinschaft und dein Werk ist unseres Lebens Auftrag; denn wir Kleinen fühlen, daß es dir gelingen muß, wenn wir bei dir stehen. Da wachsen wir durch unsere Treue zu dir. Es ist wahr: Dir zuliebe erneut sich die Welt.«68

Ähnlich schwärmerische Äußerungen finden sich in evangelikalen Gemeinden, in denen die persönliche Begegnung mit einem charismatisch erlebten Jesus die tradierte biblische Religion mit Gefühl auflädt. Der Gedanke, dass ein idealisierter Führer jeden Anwesenden kennt und liebt, ist auch aus Schilderungen von Mitgliedern der Osho-Sekte und anderen Erleuchtungsgruppen bekannt. Dort wird ein Massenpublikum regelrecht angeleitet, »im Geiste« Fragen an den Guru zu stellen und dessen Antworten als von ihm selbst gegeben anzusehen und zu befolgen.



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